Aus der Zeitschrift EinSicht Sommer 2008
Ein Tag im Leben eines Friedensgärtners
Uwe Wilhelm Haspel
Der Wecker macht sich bemerkbar!
Er ist ein riesengroßer Feuerball und erhellt vor seinem Aufgang den Horizont. Seine Helfer (Assistenten) setzen Kehlen, Zungen und Schnäbel ein, um ihren Weckruf in
vielfältigen, Melodien erklingen zu lassen. Ich räkle mich in der offenen Hütte, im Wäldchen, 300 Meter außerhalb des Dorfes, setze meine Füße auf den Waldboden –
feinpulvrige Erde und Laub fühle ich unter ihnen. Einen Gruß sende ich an meine Freunde, die Bäume um mich ~ eine jugendliche Linde, zwei riesige Eichen in ihren "besten
Jahren", und viele kleine Ahorn-Jungspünde.
Dann nehme ich mein Handtuch und gehe die paar Schritte zum nahe gelegenen Bach, meinem Sommerbadezimmer. Mit dem Waschen sauge ich die Kraft des Ortes in mich auf und danke, dass ich hier sein darf. Die Hütte habe ich mir aus geschenktem Holz, meist Baumschnitt und Schwartenbrettern – Kanten der Stämme, die beim Sägen im Werk übrig bleiben – in diesem Frühjahr in fünf Tagen gebaut. Vorher habe ich nahebei in einem Gartenhaus des Nachbaranwesens schlafen dürfen. Dem Pulsschlag der Natur sehr nahe achte ich aufmerksam auf das Leben der Tiere und Pflanzen, das Wetter, Stimmungen des Ortes und andere Wahrnehmungen, die möglicherweise mit Naturkräften und Naturwesen zusammen hängen. So ist es für mich selbstverständlich, dass ich zu meinen Mitwesen rede, auch hier eine Pflanze streichle, dort einen Baum umarme, eine Schnecke begrüße, einer Stechmücke bei der Mahlzeit (meines Blutes) guten Appetit wünsche.
Vor körperlicher Arbeit mache ich möglichst ein bis zwei Stunden spirituelle Arbeit, zum Lob Gottes, zur Pflege meines Organismus und Schulung meiner Fähigkeiten und Fertigkeiten. Yoga mache ich – Asanas (Körperstellungen), Pranayama (Atemarbeit), Gebet und Arbeit mit Mantren. Bevorzugt mache ich dies in der Natur, weiche gegebenenfalls in den Meditationsraum des Nachbaranwesens LebensGut aus, ein etwa 25 qm großer Gewölberaum, der durch Schlichtheit und Handwerksarbeit, ein großes halbrundes "Sonnenfenster", Birkenfußboden, ein in Lehmputz eingearbeitetes manns- oder fraus-großes Yantra und anderer Einzelheiten auf mich wirkt, wie wenn ich mich in eine liebevoll geöffnete Riesenhand begeben darf.
Vor dem Frühstück um 10 Uhr mache ich gerne noch in einigermaßen Kühle Feldarbeit – Hacken, Säen, Pflanzen, auch viel Mulchen und Arbeit mit Gründüngung. Beispielsweise hacke ich in einem mit Rettich, Rucola und Kresse bewachsenen Beet, damit dort Möhren gesät werden können.
Heute ist ein Helfer dabei, Sascha aus dem 10 Kilometer entfernten Geschwisterprojekt "Biotopia". Er unterstützt mich, lernt dazu und kann so auch zur dortigen Versorgung mit beitragen. Gemeinsam auf dem Feld kann (beim Plaudern) die Zeit schneller vergehen. Er weiß inzwischen Bescheid, dass ich allermeist barfuß am liebsten am Arbeiten bin, einerseits wegen des Wohlgefühls an den Füßen, andererseits weil die Erde – schwerer Lehm – so wesentlich lockerer bleibt, als wenn ich mit festem Schuhwerk darin herumtrete.
Mahlzeiten nehme ich oft nur zwei am Tag ein, um 10 Uhr und nach Bedarf zwischen 14 und möglichst spätestens 19 Uhr. Es gibt meist Rohkost nach Jahreszeit, frühs Wildpflanzen, Obst – frisch oder als Trockenfrüchte - Walnüsse, dazu auch Brot und Öl. Nachmittags esse ich meist Kartoffeln, eventuell Hirse, Buchweizen, Getreidebrei oder Nudeln. Meist essen wir "Eigenes" oder Geschenktes vom benachbarten Biobauern (der auch hier und dort auf unsere Hilfe zählen kann), manchmal "Auswärtiges" wie z. B. von Besuchern Mitgebrachtes.
Essen ist für mich Genuss und Fest, in seiner Schlichtheit. Meist ist es direkt mit Hilfe eigener Hände Arbeit und durch Gottes Gnade gewachsen. Vielen fällt dabei auf, dass ich fast vor jedem Bissen an der Speise schnuppere, ähnlich Tieren. So weide ich mich nicht nur am Duft, sondern wähle auch Art und Menge der Lebensmittel für mich aus.
Üblicherweise stehen zwischendurch Telefonate an - Terminvereinbarungen mit Patienten meiner Naturheilpraxis - oder andere Angelegenheiten zum Beispiel der Friedensarbeit. Ab und zu meldet sich jemand aus dem Dorf oder ein Gast des LebensGuts wegen gesundheitlicher Probleme und ich gebe entweder auf dem Acker Rat, verabreiche Wildpflanzen oder lege die Grabegabel aus der Hand und begebe mich ins Haus an die ärztliche Arbeit. Post erledige ich zwischendurch, ebenso das Lesen von Zeitschriften, die wir teils abonniert haben, teils geschenkt bekommen.
Eine Lesestunde in Ruhe in der warmen Jahreszeit ist für mich ein kostbares Gut. Gezielt nehme ich mir Zeit für spezielle Bücher, die mir für die Friedensarbeit hilfreich und nützlich sind wie z.B. derzeit das Tagebuch von John Woolman, einem amerikanischer Quäker, der wesentlich mitgewirkt hat bei der Abschaffung der Sklaverei.
Ebenso selten - ich genieße es sehr - ist für mich ein Spaziergang in Ruhe ohne eine Arbeit in der Hand mit persönlichem Austausch mit einem mir lieben Menschen. Ein- bis zweimal die Woche fahre ich nach Bautzen in die Sprechstunde. Wenn ich in Pommritz bin, mache ich oft noch Handwerkliches, Reparatur eines Gartengeräts oder Handwerkszeugs, baue eine Neuentwicklung wie derzeit eine Regenrinne aus Holz und Rinde zum Auffangen von Regenwasser als Trinkwasser. Aufräumarbeiten (derzeit von Saatgut) sind oft fällig. Oder wir bekommen von Nachbarn eine Ladung Brennholz geschenkt oder es gibt den Trockenapparat mit Obst zu bestücken oder ich helfe jemandem im Dorf.
Vor dem Abendessen versorge ich die Schafe, die ich mit einem Freund zusammen betreue – bringe ihnen Büschel bestimmter Kräuter, Heu, abgeschnittene Zweige und Äste. An speziellen Tagen halte ich Kurse oder bin an Veranstaltungen mit dem Oberthema "Friedensarbeit" beteiligt.
Lesen abends bei Kerzenlicht ist für mich mittlerweile ein Leichtes, wesentlich angenehmer als mit elektrischem Licht. Wenn wir unter einander oder mit Besuch zusammen sitzen oder außerhalb bei Veranstaltungen sind, habe ich meist Handarbeit dabei – Wollsachen zum Stopfen oder Näharbeiten. Auch im Sommer bin ich oft in Wollsocken und Stiefeln in den bei verbreiteten Bennesselfeldern zugange, und ein Wollpullover am Abend ist meist von mir in Gebrauch. So werden Kleidungsstücke bedingterweise schnell löchrig.
Ihr könnt Euch vorstellen, der Tag ist voll von verschiedenen Aufgaben und Tätigkeiten, oft randvoll. Und doch – einerseits macht mir Arbeit von Grund auf Freude, weil ich Sinn in dem Allermeisten von dem sehe, was ich tue, - andererseits weil ich mir Zeit nehmen kann und sie mir auch nehme, um zwischendurch das Wolkenspiel am Himmel, den Besuch eines Vogels, den Duft eine Blüte zu genießen, mit den Kindern aus der Nachbarschaft zu plaudern oder zu spielen, mich ins Gras zu legen und einige Male tief durchzuatmen, auf einen Obstbaum zur Zwischenmahlzeit zu klettern und, und, und ... .
Es wird Abend. Mehr und mehr gelingt es mir frühzeitig - gegen 22 Uhr – schlafen zu gehen, mich dem Rhythmus der Sonne mehr anzuschließen. Auf dem Weg in die Hütte singe ich meist ein oder mehrere Lieder – Lieder des Dankes mit Segenswünschen für die Natur oder Lieder zum Lobe Gottes – oder lausche dem Rauschen der Blätter im Wind, dem Zirpen der Grillen, und zu bestimmten Jahreszeiten dem Gesang der Nachtigall, einem selten schönsten Geschenk für meine Ohren. Vor dem Wäldchen angelangt grüße ich die Baumfreunde, manchmal Naturwesen, wenn ich dort welche vermute. Dann zünde ich die Kerze meiner Laterne an (wobei mir der Eremit vom Tarot beim Schreiben einfällt), da ich einige Meter durch dichtes Dickicht vor mir habe.
Mit Dank beuge ich mich vor dem Niederlegen zum Waldboden und lege die Stirn auf den Erdboden – wie ein "Entladen" ist es für mich - mich in den Schoß von Mutter Erde über Nacht zur Ruhe begeben, das Tagesgeschehen hinter mir lassend. Nach dem Abendgebet schlafe ich meist umgehend ein.
Und wieder ist ein Tag einfach so vergangen. Nichts Großes ist geschehen, und doch habe ich eine große Menge an Besonderem erlebt.