Aus der Zeitschrift EinSicht Sommer 2011

Die Ackerwinde

Von H. O

Lieber Eike
Du fragtest uns einmal nach unserer Lieblingspflanze. Nun weiß ich weder wann das genau war, noch was ich geantwortet habe, doch gerade heute kam es mir wieder in den Sinn. Ja, ich habe einen Liebling in der Pflanzenwelt, seit ich mich „gärtnerisch“ betätige begleitet mich eine ganz bestimmte Pflanze. Dass der Begriff Schädling bzw. Unkraut falsch ist und wenn überhaupt nur beim Menschen zutrifft, weiß ich schon lange. Doch wie die meisten habe ich ein bestimmtes Weltbild, und manche Dinge passten da nicht rein. Da waren zum Beispiel die Schnecken oder die Mäuse denen ich einen gnadenlosen Kampf lieferte. Doch wie das bei jedem Kampf ist, reagierten die Bekämpften und kamen immer wieder.

Das änderte sich erst nach meiner Bekanntschaft mit der „KOOPERATION MIT DER NATUR“. Aus Feinden wurden Freunde oder Helfer, auch wenn ich vieles nicht verstehe, weiß ich jetzt, dass die Natur auf mich und mein Tun reagiert.

So zieht es ganz bestimmte Pflanzen immer wieder in meine Nähe, die Brennnessel, die Vogelmiere oder das Klettenlabkraut sind schon recht anhänglich, doch eine Pflanze trieb es sogar bis in unsere Wohnung: „Die Ackerwinde“. Ums Haus rum war sie schon immer, doch vor ein paar Jahren kroch sie in unserem Wohnzimmer die Wand hoch. Selbst im Winter zeigte sie uns ihr freundliches Grün, doch das gehört sich ja nicht und so rissen wir sie immer wieder raus. Der Fußboden war schon länger kaputt und wurde erneuert, dennoch fand die Ackerwinde einen Weg zu uns.

Was will sie, wozu ist diese Pflanze gut? Ich fand nirgends einen Hinweis. Sie wächst eigentlich überall, man findet sie im Garten, am Haus oder auf Asphaltwegen, sie kriecht durch winzige Ritzen und durchdringt sogar den geschlossenen Asphalt. Doch wozu, was will diese Pflanze an diesen oft unschönen Orten, wo die Lebensbedingungen doch eher bescheiden sind? Im Wohnzimmer, hinter unserem Schrank hatte sie nicht einmal Licht.
Ich weiß es nicht, doch eines weiß ich genau: Es ist eine wunderschöne Pflanze die graue und unschöne Plätze begrünt, selbst Schuttplätzen gibt sie etwas Tröstendes.

Ihr freundliches Grün und ihre hübschen Blüten wollten zu uns, in einer Zeit wo ich dringend Trost brauchte, doch ich habe es nicht verstanden und riss sie immer wieder raus. Schade, seid ca. drei Jahren bleibt sie nun draußen. Doch da ist sie nach wie vor allgegenwärtig und wenn ich sie sehe, freue ich mich jetzt. Es ist, als sehe ich einen guten Freund, meine Lieblingspflanze.

P.S.: Wieder sind einige Jahre ins Land gegangen, und ich habe dazu gelernt. Calystegia sepium (Zaunwinde), wozu auch die Ackerwinde gehört, ist essbar: Die Wurzeln nimmt man von September bis in den Winter (getrocknet und zu Mehl gemahlen). Auch die Blüten und Blätter gelten als essbar. (Vor allem die Wurzel, aber auch die Pflanze enthält „Harzglycosid“ und soll deshalb abführend wirken können). Ich habe es probiert und spürte nichts dergleichen, es war aber auch kein besonderes Geschmackserlebnis.


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