Kooperation mit der Natur: «Der Mensch ist Gast, nicht Herr der Natur»
Nicht gegen die Natur, sondern kooperieren
Schweizer Bauer, 17.4.2003, Autorin: Ruth Aerni
Eike Braunroth plädiert für eine ungewöhnliche Sicht- und Arbeitsweise in der Landwirtschaft. Sein Konzept: Wenn «Schädlinge» nicht bekämpft, sondern akzeptiert werden, kann der Mensch eine reiche Ernte erwarten.
Von Ruth Aerni
Mit Schnecken kooperieren? Für die meisten Menschen dürfte das eine abenteuerliche Vorstellung sein. Agatha Andergassen aus Buchrain LU hingegen erzählt ganz selbstverständlich von solchen Dingen: Wie sie die Nacktschnecken im Frühbeetkasten dazu bringt, dass sie die frisch austreibenden Dahlien in Ruhe lassen. Dass sich die Tiere ihren Salatsetzlingen gegenüber äusserst genügsam verhalten und die Sonnenblumen durch massvolles Knabbern zu besonders schöner Blüte führen. Das Rezept von Agatha Andergassen heisst «Kooperation mit der Natur». Dabei handelt es sich einerseits um einen Verein, andererseits um eine Arbeitsmethode, und hinter beidem steht der Deutsche Eike Braunroth, Pädagoge, Psychologe, vor allem aber ein engagierter Gärtner mit jahrzehntelanger Erfahrung. Bei dieser Tätigkeit hat er sein Konzept entwickelt.
Die Verbundenheit mit der Natur empfinden viele Landwirte als einen erfüllenden Aspekt ihres Berufes. Es liegt im Wesen der Landwirtschaft, dass sie eng mit der Natur zusammenarbeitet, zumindest mit einem Teil davon - Kategorien wie Unkräuter und Schädlinge weisen auf die Kämpfe hin, die im Bauern- und Gärtneralltag eben auch stattfinden.
Der Natur vertrauen
«Wir müssen der Natur vertrauen, dass sie es richtig macht», findet hingegen Eike Braunroth, «und zwar konsequent.» Er spricht keinem Lebewesen und keiner Wildpflanze die Existenzberechtigung ab. «Wir haben verlernt, uns als Gäste der Natur zu benehmen, wir betrachten uns als Herren», kommentiert Eike Braunroth das Verhalten der Menschen: Sie nehmen ein Stück Natur in Besitz, bearbeiten es nach ihren Vorstellungen und erwarten dafür eine Ernte. Doch Garten und Acker bleiben ein Teil des Ganzen, bleiben in die Abläufe und Abhängigkeiten der Natur eingebettet. Weder Blacken noch Pilze, weder Nacktschnecken noch Wildschweine wissen von den Ansprüchen der Menschen. In den Worten Eike Braunroths folgen sie dem Gesetz der Natur, «sein zu dürfen». Worauf ein Landwirt einwenden mag: «Schön und gut, aber ohne Gegenmassnahmen würden diese Viecher und Unkräuter meine Existenz zerstören.» «Bekämpfung führt nur zu einer Vergrösserung der Population», hält Eike Braunroth dagegen, «denn um die Art zu sichern, reagiert der bedrohte Organismus mit starker Vermehrung.»
Mit Käfern reden
Wer im Sinne Braunroths mit der Natur kooperiert, gesteht der Natur und ihren Lebewesen schon beim Aussäen einen Teil der Ernte zu und teilt ihnen das auch mit. Und erreicht damit ein Gleichgewicht und letztlich mehr Ertrag, versichern die Anhänger der Methode. Eine solche Sichtweise geht vielen Leuten gegen den Strich; mit Käfern und Raupen zu kommunzieren, ist nicht jedermanns Sache. Die Angelegenheit liesse sich leichter abtun, wenn da nicht Erfolge aufzuweisen wären: ein Ackerbauer, aus dessen Gerstenfeld sich Disteln und Klettenlabkraut ohne Pflanzenschutzmittel zurückgezogen haben. Ein Milchviehbetrieb, der das Staphylokokkenproblem mit Antibiotika nicht in den Griff bekam, wohl aber mit Braunroths Methode. Eine Weihnachtsbaumkultur, die von der Fichtenblattwespe in Ruhe gelassen wurde. Die Liste der Beispiele geht noch weiter. Die beteiligten Landwirte sind bislang im Ausland zu suchen, denn in der Schweiz ist Eike Braunroth erst seit kurzem aktiv: Das erste Seminar führte er im vergangenen Herbst durch, ein zweites Seminar speziell für Landwirte ist auf Ende Jahr geplant. Dort werden während einer Woche die Grundlagen erarbeitet und dann in der Natur angewendet. Dabei widmet sich jeder Teilnehmer einem spezifischen Problem, das er auf seinem Betrieb lösen möchte. Danach folgt eine einjährige Betreuungszeit, in denen Braunroth telefonisch mit Rat zur Seite steht und Treffen im Arbeitskreis stattfinden. Die Methode von «Kooperation mit der Natur» findet begeisterte Anhänger und überzeugte Gegner. «Das Wissen geht vom Herzen aus», kommentiert Eike Braunroth, «wenn das Herz nicht beteiligt ist, funktioniert es nicht. Wer sich aber auf die Methode einlässt, kann sie lernen.»