Erfolge

Mein lieber Kartoffelkäfer!

von Lida V., Tschechien

Als ich in 1999 eine Serie von Artikeln über die Kooperation mit der Natur® in unserer Bio-Zeitschrift las, war ich begeistert. Die dort geäußerten Prinzipien lagen meinem Herzen nahe. Sie entsprachen meinen Vorstellungen, dass die Welt vom Schöpfer geschöpft wurde, der mit der Liebe identisch ist. Dass Liebe also in aller Schöpfung großgeschrieben ist und deshalb alles auf sie reagieren muss.

Ich war damals im zweiten Jahr meines neuen Tätigkeitsbereichs: Ich wollte noch in diesem Leben Landwirtin werden (nachdem ich Bauingenieurin und Fremdsprachenlehrerin geworden war). Eine schwierige Aufgabe, da ich mich nie für die Natur interessiert hatte. Sie war bisher nur eine Kulisse bei meinen touristischen Ausflügen gewesen. Ich kannte nicht einmal die Namen einzelner Pflanzen und schon gar nicht ihre Fachbezeichnungen. So war z. B. auch der Name "Quecke" neu für mich!

Warum hatte ich mich für diese Tätigkeit trotz meines schon damals hohen Alters entschieden? Wie oft in meinem Leben hatte ich etwas pathetische Bewegungsgründe oder war es Fügung?

Nach dem Ende des Kommunismus bekam ich mein Feld zurück. Ich wollte es nach der gefühllosen Ära durch liebevolle Arbeit mit meinen Händen und meinem Schweiß heilen und die durch schwere Maschinen zusammengedrückte Erde lockern, wusste aber gar nichts über Landbau.

Die Idee der Kooperation betrachtete ich als ein Ideal, das für mich in der damaligen Etappe meiner Entwicklung unerreichbar schien. Ich glaubte nicht, dass die Naturwesen so einer Dilettantin zuhören würden. Ich erinnerte mich schon gar nicht mehr daran. Eines Tages aber ich musste mit meinem Bekannten über seine hohe Schätzung der Lehre von Eike Braunroth sprechen. Und ich wurde in diesem Frühling (2001) gefragt, ob ich als Vertreterin unseres Landes zu seinem Seminar fahren wolle. Ich sagte ja, aber nur wenn es niemand ist, der sprachlich und fachlich besser qualifiziert ist. Zu meiner Überraschung erschien niemand. "Gut", sagte ich, "dann fahre ich".

Der adulte KartoffelkäferDas Seminar, zu dem ich von Eike eingeladen wurde, fand in Steyrermühl, in Österreich, bei Anna Wiesmayer statt.

Noch vor dem Seminar wollte Eike von uns die Entscheidung, mit welchem "Schädling" wir uns während des Seminars befassen wollen. Ich meinte zuerst etwas trotzig, diese Frage beträfe mich gar nicht, ich würde nur dorthin fahren, um dann bei dem ersten Seminar hier in Tschechien behilflich zu sein. Dazu noch betrachtete ich kein Tier als Schädling. Ich fühle auch keinen Hass, wenn eines einen Teil meiner Ernte fraß.

Dann sagte ich mir aber: "Gut, Hass fühle ich zwar nicht. Es gibt aber Tierchen, die ich morde, zwar nicht aus Hass, aber ich glaube, dass ich es den anderen Landwirten schuldig bin - um zu verhindern, dass sie sich von meinem in die benachbarten Felder ausbreiten. Und ich sammle die Kartoffelkäfer jedes Jahr in einer Flasche und dann - zwar mit schrecklichen Gefühlen - zerdrücke ich sie zu Tode. Es gibt keine anderen Tierchen, von denen ich so viele gemordet habe." Ich wollte mir die Aufgabe nicht leicht machen, deshalb habe ich in Eikes Formular "Kartoffelkäfer" hineingeschrieben. Und damit bin ich dann nach Österreich abgefahren.

Ich war gespannt, nicht wissend, was mich dort erwartet, aber ich erwartete nicht, dass ich mich dort wesentlich verändern konnte. Das war aber ein Irrtum!

Eike hat uns (vierzehn Österreicher aus der Gegend, eine Deutsche und mich) während des Seminars durch die Gefühle des Hasses zu dem von uns gewählten "Schädling" geführt, zu dem besseren Bewusstsein, warum wir eigentlich die Abneigung haben, bis zu der Erkenntnis, dass unser Hass eine Blindstrasse ist, die nie zur Lösung unserer Probleme führen kann. Und dass dabei die Lösung (wie alle genialen Lösungen von Problemen) äußerst einfach ist: Es reicht, die Abneigung, den Ekel, den Hass durch die Liebe zu ersetzen und die Probleme verschwinden.

Ich musste mich also tiefer mit meiner Beziehung zu den Kartoffelkäfern auseinandersetzen. Bin ich wirklich so gleichgültig zu ihnen? Vernichtete ich sie wirklich nur wegen der Meinungen anderer Menschen? Fühlte ich wirklich gar keinen Ekel vor ihnen und ihren Larven?

Und dann: Hängen nicht einige ihrer Eigenschaften mit meinem eigenen Problemen zusammen? Ja, ich bin zwar kein dicker Mensch, aber doch nenne ich mich manchmal gefräßig. Und bin ich es eigentlich nicht? Esse ich manchmal, nicht um Nährung zu bekommen, sondern wegen der Schwäche meiner Zunge (wer sagte es, dass wir uns durch diese Zungenschwäche zu Krankheiten und vorzeitigen Tod durchfressen?). Und ist diese meine Schwäche nicht eines meiner zwei größten Probleme?

Manifestieren also die Kartoffelkäfer nicht ein Bild, das ich von mir selbst habe? "Gucke sie an, wie schnell sie die Kartoffelblätter essen und du kannst dich selbst sehen! Lies diesen Bericht!"

Das war eine richtige Entdeckung für mich. Ich entschied mich ganz ernst zu einer neuen Beziehung zu den Kartoffelkäfern nach Hause zurückzukehren. Ich entschied mich, sie nie mehr zu töten. Ich entschied mich, sie neu zu sehen, nicht mit Ekel, aber mit Achtung, mit Sympathie, möglichst mit Liebe.

Ich kam am 7.6.2001 zurück nach Tschechien. Zu jener Zeit waren im vorigen Jahr schon viele Käfer an meinen Kartoffeln. Diesmal konnte ich in der ganzen Reihe der Frühkartoffeln nur einen einzigen Käfer finden. Ich habe ihn begrüßt und mich für alle vergangenen Morde entschuldigt und ihm versichert, an ihm keine Morde mehr zu verüben. Ich habe ihn zum erstenmal in meinem Leben gründlich angeguckt um zu sehen, wie er eigentlich aussieht, um mir seiner Schönheit, der Schönheit eines vollkommenen Geschöpfs Gottes bewusst zu werden. Ohne jenen blindmachenden Hass und jene Ekelgefühle.

Die Larven des KartoffelkäfersEs war wirklich eine Erleichterung. Ich war nicht mehr verurteilt zu einem Hasser, einem Mörder. Ich wurde erlöst. Und ich war sicher, es wird zu keinem totalen Abfressen von Kartoffelblätter mehr kommen. Und es ist auch nicht mehr geschehen. Jeden Morgen gehe ich zum Feld, um Käfer als auch die Kartoffeln zu begrüßen. Einmal sah ich einen Käfer, am folgenden Tag keinen, dann wieder einen, dann eine Larve. Ich sah aber keine Schäden, keine gefressenen Kartoffelblätter.

Auch ich selber fand es leichter, mein Essen nicht zu vermindern, aber besser einzuteilen (ja, gut, nicht immer).

Dann kam mir ein Gedanke: Ich erinnerte mich an meine Jugend in den fünfziger Jahren. Nach der gewaltvollen Gründung der kommunistischen Landwirtschaftlichen Genossenschaften (tschechische Form von sowjetischen Kolchosen) wurden die Kartoffelfelder voll von Kartoffelkäfern. Die kommunistische Propaganda ist damals mit der Geschichte gekommen, dass die Amerikaner, um unsere sozialistische kollektive Landwirtschaft zu vernichten, von Flugzeugen die Kartoffelkäfer zu uns geworfen haben. Man nannte damals diese Käfer sogar "die amerikanischen Käfer". Und man hat die Brigaden in Fabriken und Schulen organisiert. Arbeiter, Schüler und Studenten sollten die amerikanischen Imperialisten auf unseren kollektiven Kartoffelfeldern bekämpfen. So machte man das in den Fünfziger Jahren. Dann aber erfand man Pestizide und brauchte keine Arbeiter und Schüler mehr. Schon damals hörte ich aber von Bauern, dass Kartoffelkäfer nichts neues waren, dass es keine amerikanische Division sei, dass sie auf den Kartoffeln immer lebten. Sie meinten aber, dass die enorme Ausbreitung und Vermehrung mit der schlechten Arbeit und der neuen meist gegen den Willen der Bauern gegründeten Kooperative lag.

Jetzt aber, nach dem Eikes Seminar, sehe ich diese Geschichte anders. Ich bin darauf gekommen, dass Schuld an der plötzlichen Übervermehrung nicht die schlechte Arbeitsorganisation hatte, aber das Defizit der Liebe. Die privaten Bauern hatten meistens eine innige Beziehung zu ihrem Vieh, ihren Feldern und Pflanzen. Jetzt wurden sie in das neue System gezwungen: Durch harte Methoden wie psychischen Druck, Beschuldigung antikommunistischer Tätigkeiten bis hin zu gewaltsamer Aussiedlung oder sogar Verurteilung und Gefängnisstrafe.

Es herrschte damals so viel Leid, dass die Natur reagieren musste!

Und die neuen Herren? Es gab nur die Planwirtschaft, wissenschaftliche Methoden, vorgeschriebene Quoten, Kampf, Bekämpfung. Über Liebe aber sprach man nicht.

Und wer fühlte sie? Man fühlte sie nicht mehr auf den Feldern, nicht zu den Kartoffeln, geschweige zu den Käfern. Die bekämpfte man stellvertretend für die amerikanischen Imperialisten. Also: hart und gnadenlos.

Ja, ich weiß. Auch derjenige Teil der Welt, der diese Art Totalitarismus nicht erlebte, ist zum Kampf gegen die Schädlinge gekommen. Man hat immer neue Pestizide und Herbizide entdeckt. Die Landwirte waren zwar nicht gewaltsam von ihrem Eigentum getrennt, aber ihre Köpfe wurden mit ökonomischen Faktoren ausgewaschen bis sie eigentlich genau so gegen die Natur kämpften wie die unserer Kooperative. Es gab keinen großen Unterschied – eher nur zwei Abarten von grobem Materialismus.

"Kleiner Mann, was nun?" fragt man.

Nach dem Seminar sehe ich, wie vermeintlich dilettantisch oder unwissend ein Landwirt auch sein mag, es gibt nur eine Möglichkeit: Das Bewusstwerden, dass es in diesem Bereich keine inkompetenten Menschen gibt, dass wir alle genug Kenntnis haben, um in Frieden mit der Natur und im Wohlstand zu leben!


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